Per Anhalter, aber sicher

Seitdem ich in Kakenstorf wohne, denke ich über Mobilität nach. Busse fahren hier im Wesentlichen zu den Schulen, das Anruf-Sammeltaxi fährt theoretisch einmal die Stunde, aber nur tagsüber, und selbst mir als promoviertem Informatiker ist die Beschreibung nicht klar. Taxis sind teuer. Zu meinen Überlegungen, die ich im Einschlafen Podcast beschrieben hatte, ist mir ein Konzept eingefallen, das ich recht attraktiv fand, das aber womöglich schwierig umzusetzen ist. Das Konzept war eine Art Moia oder Uber, nur dass die Fahrer nicht extra fahren, sondern für jede ihrer Fahrten, die sie sowieso machen, eine Navigations-App verwenden, die spontane Mitfahrer organisiert. Eigentlich ganz geil, aber schwierig umzusetzen.

Jetzt habe ich eine Idee, wie man zumindest ein paar Probleme lösen kann, ohne gleich den ganz großen Wurf machen zu müssen.

Probleme

Es gibt ein paar allgemeine Probleme, die aufzeigen, warum man überhaupt was machen muss:

  • Öffentlicher Nahverkehr in kleinen Speckgürtel-Orten wie Kakenstorf ist unverhältnismäßig teuer. Um einen Bus alle 20 Minuten nach Tostedt und Buchholz fahren zu lassen bräuchte es vermutlich 6- bis 7-stellige Investitionen pro Jahr. So hoch ist der Mobiliätsbedarf aber nicht, zumindest nicht für die Anlässe, die sich damit gut umsetzen lassen.
  • Für die spontane Mobilität („Kannst Du mich zum Sport bringen / schnell was einkaufen / zum Arzt fahren“) haben die meisten Haushalte mindestens ein Auto, oft mehr. Autos sind teuer in der Anschaffung und im Unterhalt, sie stehen 95% der Zeit rum und verschwenden Platz und Ressourcen, trotzdem sind Straßen überfüllt, im Wesentlichen weil in den meisten Autos oft nur eine (in Zahlen: 1) Person transportiert wird.

Und dann gibt es noch eine Reihe von Problemen, mit denen sich eine neue Lösung wie die oben erwähnte App beschäftigen muss:

  • Vermittlungsproblem: wie finden Fahrerin und Mitfahrerin zueinander?
  • Sicherheitsproblem: wie kann ich dem Fahrerin oder Mitfahrerin vertrauen?
  • Anreizproblem: selbst wenn ich die ersten zwei Probleme gelöst habe, wie bekomme ich die Leute dazu, vom eigenen Auto auf ein neues System umzusteigen?
  • Finanzierungsproblem: Am Ende muss es bezahlbar sein, für Teilnehmerinnen und die Kommune.

Umfrage

Ich hatte im Sommer 2019 (also vor der Pandemie) mal eine Mobilitätsumfrage in Kakenstorf gemacht. Immerhin hatten 53 von gut 600 Haushalten teilgenommen, allerdings war das vor der Pandemie, daher weiß man nicht, ob sich an der Einstellung was geändert hat. 86% der Teilnehmer waren unzufrieden mit den Mobilitätsangeboten in Kakenstorf. Mehr als zwei Drittel hatten pro Person mit Führerschein auch ein dazu passendes Auto. Verwendungszweck war überwiegend Pendeln und Einkaufen. Mehr zu der Umfrage weiter unten.

Angedachte Lösungen

  • Ich halte „mehr ÖPNV“ für Orte wie Kakenstorf nicht für sinnvoll. Entweder ist das Angebot zu eingeschränkt um attraktiv zu sein (letztes Jahr gab es einen kostenlosen Busverkehr nach Tostedt: Freitags vormittags hin, Freitag mittags zurück… hat keiner genutzt, wurde wieder eingestellt), oder zu teuer, wenn man das Angebot attraktiv genug machen möchte (von 5 bis 23:40 alle 20 Minuten nach Tostedt und Buchholz), außerdem wäre es dann auch nicht sinnvoll ausgelastet.
  • Ich halte auch ein Bürgerbus-Konzept, wie es in Ottersberg oder anderswo eingesetzt wird, für nicht sinnvoll, denn auch wenn hier Ehrenamtliche genutzt werden, ist es zu teuer und nicht zielgerichtet genug, um ausreichend viele Leute vom eigenen Auto wegzubringen. Da kann man auch gleich beim Anruf-Sammeltaxi bleiben.
  • In vielen Orten gibt es jetzt Mitfahrbänke: Sitzbänke im öffentlichen Raum, auf die man sich setzen kann, wenn man nicht an der Straße stehen möchte um den Daumen rauszuhalten. Diese sind zwar vielleicht bequemer als das Stehen mit ausgestrecktem Daumen, aber mindestens so unsicher wie normales Trampen.

Mein Vorschlag: sicher Trampen

Ich schlage ein App-gestütztes System vor, wie von mir im oben erwähnten Podcast beschrieben, aber ohne den komplizierten Routing- und Vermittlungsalgorithmus. Im Prinzip soll über diese App nur das normale Trampen (ob mit oder ohne Mitfahrbank) sicher gemacht werden. Das funktioniert dann so: All Teilnehmer registrieren sich an zentraler Stelle (Amt oder Service-Büro) mit Name, Foto, als Fahrer auch mit PKW-Kennzeichen. Alle Teilnehmer haben eine App und / oder eine Karte mit QR Code und / oder NFC. Wenn also eine Anhalterin bei einer Fahrerin mitfahren möchte, scannt sie mit ihrer App den QR Code der Fahrerin, sieht dann Namen, Foto und Kennzeichen, prüft noch schnell ob das Kennzeichen auch am Auto ist. Die Fahrerin sieht daraufhin in ihrer App Foto und Name der Mitfahrerin und kann entscheiden, ob das wirklich die Person ist, für die sie sich ausgibt. Damit ist das Sicherheitsproblem natürlich nicht abschließend gelöst, denn natürlich könnten böse Menschen immer noch böses tun. Allerdings wären sie dann sofort auffindbar, über die App könnte auch sehr einfach ein Tracking und eine Benachrichtigung möglich sein, so dass längere Vermisstenzeiten der Vergangenheit angehören. Eine Sicherheitslücke ist natürlich auch, dass Menschen das System nachlässig benutzen und eben doch einsteigen, obwohl die Fahrerin das System gar nicht benutzt. Trotzdem wäre mit dieser App das Trampen schon um vieles sicherer. Auch die gefühlte Sicherheit spielt eine große Rolle. Viele Menschen trauen sich nicht zu trampen, weil es unsicher ist, und mit so einer App, die dann auch korrekt benutzt wird, könnten diese Menschen dann doch ´Mobilität gewinnen.

Die Idee ist am Ende, dass die vielen Autos, die sowieso ununterbrochen auf allen Straßen unterwegs sind, nicht mehr so leer fahren. Es braucht nicht mehr Fahrzeuge auf den Straßen, sondern weniger. Es sollte Anreize geben, dass Menschen auf ihren Fahrten andere mitnehmen. Es braucht eigentlich kein kompliziertes Konzept: einfach an die Straße stellen, es fahren genug Autos, diese sollten einfach mehr Leute mitnehmen. Diesen Schritt sicher und vertraut zu machen, das ist das Ziel dieser App.

Was braucht es: nun, ein System aus Apps (iOS und Android) mit einem Backend, in dem Nutzer angelegt und verwaltet werden können. Die Apps müssen einen Login haben, einen persönlichen QR Code anzeigen können und andere QR Codes scannen und überprüfen können. Die QR Codes sollten mit einer schönen Vorlage auszudrucken sein, für Fahrerinnen mit ein bisschen Info, für Mitfahrerinnen in Groß mit einer freien Fläche, die dann laminiert mit einem Filzstift beschrieben werden kann, so dass nicht mehr der Daumen, sondern diese große Karte mit gut lesbarem Fahrtziel rausgehalten werden kann.

Sollte sich das System etablieren, kann man schauen welche weiteren Funktionen eingebaut werden sollten. Wenn nicht genügend Fahrten gefunden werden, wenn man also zu selten mitgenommen wird, dann könnte man eben doch später noch ein Routing- und Vermittlungssystem einbauen.

Die letzte Frage wäre noch: wie motiviert man Fahrerin, sich zu registrieren und registrierte Mitfahrerinnen mitzunehmen? Kommen wir zurück zu den anfangs erwähnten Umfrage: Immerhin würden zwei Drittel der Teilnehmer der Umfrage andere über eine Mitfahrzentrale mitnehmen wollen, fast 80% würden gerne mitgenommen werden.

Gut 40% der Teilnehmer würden andere kostenlos mitnehmen, genausoviele hätten gerne Spritgeld. Immerhin 10% hätten gerne Anerkennung im System.

Ich glaube, man bräuchte eine gute Informationskampagne für einen erfolgreichen Start. Mitfahrerinnen könnten Flyer bekommen, die sie jeder Person geben, die anhält aber nicht registriert ist. Es könnten Mitfahrbänke aufgestellt werden mit Info-Tafeln.

Geld für das Mitnehmen?

Laut Personenbeförderungsgesetz darf man ohne Genehmigung nur unentgeltlich mitnehmen, oder einen Betrag in Höhe der Wegstreckenentschädigung des Bundesreisekostengesetzes (zur Zeit 20 Cent) einfordern. Für eine Fahrt von Kakenstorf nach Buchholz wären das etwa 2€. Alles darüber wäre kompliziert, mit Genehmigungen und Gewerbeanmeldungen versehen. Wäre ja auch schön, auf die Änderung dieses Gesetzes hinzuwirken, aber erstens ist das Verkehrsministerium abwechselnd bei CSU und FDP, zweitens will man in Deutschland vielleicht auch kein Uber mit noch mehr Autos auf den Straßen und einem ausbeuterischem System. Stattdessen könnte man es machen wie mit dem Energiegeld: da wird CO2 teurer, und man bekommt eine Pauschale zurück. Das kostet den Staat nur die Verwaltung dieser Umlage, aber CO2 sparen wird attraktiv, und wenn man weniger CO2 verbraucht als man per Pauschale ausgeglichen bekommt, verdient man sogar Geld. Genau so könnte es hier klappen: Mitfahren ist kostenlos, und wer jemanden mitnimmt bekommt pro Kilometer 20 Cent. Das wird aufsummiert und nachträglich ausgezahlt, Die Kosten dafür werden auf alle Autofahrer umgelegt, man könnte die KFZ-Steuer erhöhen. Geht als Kommune nicht, dafür bräuchte es dann eine bundesweite Initiative, insofern bleibt das erstmal eine Idee. Vielleicht gibt es stattdessen am Ende des Jahres für die Top 50 Mitnehmerinnen ein großes Festessen, darf halt nur nicht mehr kosten als 20 Cent pro Kilometer…

Das einzige, was ich mir vorstellen könnte, ist, dass die App am Ende einer Fahrt sagt: laut Gesetz dürfte diese Fahrt maximal x,xx€ kosten, und dann können Fahrerin und Mitfahrerin sich irgendwie einigen. Aber selbst das halte ich für eine Ergänzung, die später kommen könnte, wenn es denn sein muss.

Kosten

Die Entwicklung des Systems aus Backend und Apps kostet was, genau so wie der Betrieb der Plattform, die Pflege der Apps, und natürlich die Registrierungsstelle. Ich glaube trotzdem, dass das Ganze günstiger wäre als beispielsweise das Anrufsammeltaxi, bei dem die Kommune die Differenz zwischen Taxi-Kosten und ÖPNV Tarif zahlt. Der Gewinn wäre kostenlose, schnelle, spontane Mobilität auch dort, wo sich ÖPNV nicht rechnet: zum Beispiel also in Kakenstorf.

 

Hallo Welt

Moin. Noch ein Blog? Ich hab Podcasts (siehe mik.fm für eine Liste, aber Einschlafen und Realitätsabgleich sind wohl die bekanntesten), ich hab mein St. Pauli Blog gerade angefangen, jetzt noch eins? Naja, das hier soll eher so das Sammelbecken für random ramblings werden. Dinge, die mir wichtig sind, aber nirgendwo so genau hinpassen. Viel Spaß.